Das Leben der Anderen weckt bis heute nicht nur persönliche, sondern auch staatliche und institutionelle Neugier. Allein die Vorstellung von anderem Leben treibt den menschlichen Wissensdrang zu aufwendigen Experimenten. Curiosity – englisch für Neugierde, Wissbegier aber auch Sehenswürdigkeit, ist nicht nur der Name des Erkundungsroboters auf dem Mars, sondern bezeichnet ebenso die Motivation der Mission. Dabei wirkt die Bezeichnung recht harmlos. Gucken kostet nichts, könnte man meinen. Doch es gibt keinen reinen Objektivismus, keine unbeteiligten Teilnehmer. Die Marsmission bezahlen wir mit Weltraumschrott und mit der unwiederbringlichen Verformung des Ausgangszustandes. Während wir dort nach Spuren unbekanntem Lebens suchen, hinterlassen wir ebensolche. Und so kann auch die Erforschung und Entdeckung der Wohnung des Herrn U. nicht spurlos an ihr vorübergehen. Fehler bei der Bedienung sind nicht rückgängig zu machen, die Besucher sind Eindringlinge und Beobachterinnen, Zeugen und Zerstörerinnen in gleichem Ausmaß.

Aneignung der Untersuchungszentrale durch die Besucher*innen



Die plötzlich in den Nebenräumen des Chemnitzer Klub Lokomov aufgetauchte Arbeitsumgebung, die Bilder der verlassenen Wohnung auf zahlreichen Monitoren zeigt, zieht drei Tage und Nächte lang unvorbereitete Besucher*innen an. Die Sender der Bilder sind festinstallierte, schwenkbare IP-Kameras sowie ein steuerbarer Kameraroboter. Das Interface der Arbeitsplätze verfügt über eine Screenshot-Funktion, die das Ausfüllen eines Untersuchungsprotokolls als notwendigen nächsten Schritt erzwingt. Dabei können bemerkenswerte Momente und Fundstücke festgehalten, aber auch persönliche Deutungen und Empfindungen erfasst werden. Während so immer mehr Bereiche der Wohnung ausgeleuchtet werden, verändert sich gleichsam das Untersuchungsfeld.




Untersuchungsprotokolle vom 04.04. bis 06.04.2014

 

 

Kameramitschnitt Sonde 05.04.2014 | 22.43 Uhr

 

 

Während des öffentlich zugänglichen Forschungsabschnitts treten die Künstlerinnen nur als Wartungspersonal im Hintergrund auf. In einem verborgenen Kontrollraum empfangen sie parallel alle Untersuchungsprotokolle, das komplette Videomaterial sowie die Bilder einer auf die Untersuchungsstation gerichteten Überwachungskamera und verfolgen den Verlauf des Experiments.

 

 

Atmosphäre im Kontrollraum

 

 

Kommentar von Eva Olivin |

Ich gestehe, mit sehenden Augen in die selbst gebaute Falle getappt zu sein. Ich habe mich geirrt, als ich glaubte, meine kritische Einstellung gegenüber jeglicher Form von Überwachung und verdeckter Kontrolle würde mich immun machen gegen den Sog, den die technischen Möglichkeiten dafür erzeugen. Bis zuletzt war der Bann, die Menschen auf dem Bild der Überwachungskamera agieren zu sehen und aus ihrem Handeln Schlüsse ziehen zu wollen, stärker als das mahnende Überbleibsel Moral, das alle Rechtfertigungen für diesen Übergriff zu entzaubern versuchte. Völlig widersprüchliche Gefühle traten gleichzeitig auf: das Bedürfnis, die Personen im Bild fernsteuern zu können genau wie die Hoffnung, sie mögen sich unvorhersehbar und auflehnend verhalten – Erschrecken und Ekel in Bezug auf die wie maßgeschneidert sitzende Überwacherüberwacherinnenrolle im gleichen Atemzug wie der Genuss der Geselligkeit im Kontrollraum, ein Forscherteam, das den ersten Tauchgang eines mühsam erarbeiteten Salzwasserroboters bejubelt und die Kiemenbewegungen der Fische synchronisiert – ausgelassen, übermütig, distanzlos. Und dabei ist die empfundene Distanz wahrscheinlich der Schlüssel zum Verblassen der eigenen Grenzziehung: Räumlich getrennt und durch etliche technische Ebenen gefiltert, waren selbst Freunde und Bekannte im Bild gewissermaßen entmenschlicht: Testobjekte, Kandidaten, Puppen. Doch auch wenn wir wussten, das auch auf uns eine Kamera gerichtet ist, hat das nach kurzer Zeit keinerlei mildernden Einfluss auf die Gruppendynamik und den von allen artikulierten Wunsch nach flächendeckender Überwachung gehabt. Was geschieht gerade im Nachbarraum? Wie viele Gäste sind eigentlich gerade in der Bar? Wieso haben wir nicht daran gedacht, auch den Ton aus der Galerie zu übertragen?
Als uns eine Videoaufnahme aus dem Galerieraum mit der Untersuchungszentrale zugespielt wird, fällt auch diese letzte Grenze. Wir lauschen gebannt dem Gespräch fremder Besucherinnen. Weil es geht.

Ich gestehe, entsetzt zu sein. Von mir selbst. Ich gestehe, enttäuscht zu sein – vom Fehlen sichtbarer oder protokollierter Sensibilität der Besucher*innen, die in der Wohnung eines anderen Menschen nie nach der Person oder ihrer Abwesenheit gefragt haben, sondern fast ausschließlich nach dem Verständnis oder der Optimierung der verwendeten Technik. Ich bin selbst keinen Deut besser – ich habe unentwegt ihr Verhalten in einem Raster gedeutet, das kaum Spielraum bietet für wirkliches Verstehen. Vielmehr habe ich unbemerkt Verständnis entwickelt für das was zugleich völlig unverständlich bleibt – abstraktes, selbstreferenzielles Kontrollbedürfnis. In einer Blase hält es sich gut.

Kommentar von Robert Verch |

Ich gestehe, dass ich mich ganz anders verhalten habe als ich im Vorhinein für richtig gehalten hätte und ganz anders als ich es von Anderen erwarten würde. Und ich gestehe, dass mich das nicht sonderlich beunruhigt.
Ich habe Menschen dazu angestiftet mir dabei behilflich zu sein, Technik zu entwickeln und Türen zu öffnen. Gemeinsam haben wir eine Falle gebaut und aus sicherer Entfernung geschaut wie die Leute hinein tappen. Ich habe mich hämisch gefreut über jeden und jede die hineingetreten sind. Aus purem Egoismus und zur Unterhaltung wollte ich, dass sie dabei möglichst viel Schaden – Action – anrichten. Ich habe aus der Distanz – vor ihrem wehrlosen Abbild auf einem Monitor schlecht über sie geredet und ihnen Worte, Gedanken und Motivation zugeschrieben die ich niemals überprüfen kann.
Ich gestehe, dass durch dieses Experiment technische Überwachung für mich menschlicher geworden ist. Gleichwohl bleibt der Schrecken über die scheinbar unüberbrückbare Distanz die die Technik aufgemacht hat, obwohl sie zwei Räume und Gruppen miteinander vernetzt hat. Das Bewusstsein und Fühlen jener Distanz zeigt mir klar, dass die darüber generierte Information keineswegs zum Urteilen reichen kann – wohl aber Emotionen, Diskurs und Gefühle auslösen kann. Wichtig ist die Distanz stets als Lücke – nie als Stufe zu verstehen. Keineswegs stehe ich über den Nutzerinnen meines Experiments. Mit Sicherheit habe ich ihr Handeln nicht verstanden. Ich freue mich, dass wir eine Erfahrung teilen können auf Grund der Kamerabilder. Die übertragenen Bilder zeigen natürlich nur Oberflächliches. Trotzdem gehen sie bisweilen unter die Haut. Ihre kühle Distanziertheit zu spüren ist für mich auch eine Chance Distanzen zu überwinden. Allein die Möglichkeit die Technik selbstständig Urteile über Menschen fällen zu lassen ängstigt mich immer noch. Der Rest ist Verhandlungssache.

Kommentar von Daniel Tändler |

die Amis toppen alles... http://www.ustream.tv/channel/iss-hdev-payload

Kommentar von Daniel Tändler |

Es fehlt das Urteil. Aber wer soll urteilen?

Flattr this